Der Weg zur CIO von Beiersdorf - Interview mit Annette Hamann

Was macht man eigentlich als CIO von Beiersdorf? Wir haben Annette Hamann für dich über ihren Weg und ihre Erfahrungen ausgefragt.

November 10, 2021

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Zum Start unserer Kooperation mit Beiersdorf konnten wir mit der CIO Annette Hamann sprechen. Was macht eigentlich eine CIO? Wir haben Annette für dich ausgefragt und viel über ihre Erfahrungen im IT-Bereich gehört.

Zur Person: Annette hat Mathematik, Sinologie und VWL studiert. Danach stieg sie als IT-Projektmanagerin bei Procter & Gamble (P&G) ein und war anschließend Corporate Vice President IT for Process Consulting and Enterprise Architecture bei Henkel. Seit Mai 2020 ist sie CIO von Beiersdorf und Geschäftsführerin des IT-Bereiches der Beiersdorf Shared Services GmbH – eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Beiersdorf. Beiersdorf ist ein internationaler Konzern aus Hamburg mit mehr als 20.000 Mitarbeitenden. Zu den Marken des Unternehmens gehören unter anderem NIVEA, Eucerin, Hansaplast, La Prairie und Labello.

Was war für dich persönlich dein bislang größter Erfolg im Berufsleben?

Bei einem meiner früheren Arbeitgebern war ich dafür verantwortlich in einer sehr kurzen Zeit und mit möglichst wenig Aufwand einen Webshop aufzubauen. Die Herausforderung war damals, dass es ein sehr kleiner IT-Bereich war – eingebettet in einen Konzern – und ich es so gut wie allein umsetzten musste. Außerdem gab es viele Zweifler und Diskussionen. Aber ich habe tatsächlich einen Weg gefunden, wie wir das Ganze in die normalen Geschäftsabläufe integrieren konnten – und es hat am Ende wirklich funktioniert. Man konnte die Produkte bestellen, sie wurden geliefert und intern abgerechnet. Ich war sehr stolz diesen Webshop trotz wenig Unterstützung und vielen Workarounds erfolgreich aufgebaut zu haben.

Inzwischen bist du nicht mehr nur für einen kleinen IT-Bereich zuständig sondern CIO von Beiersdorf. Was sind deine Aufgaben? Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? Über was für Themen sprichst und entscheidest du?

Aufgrund der aktuellen Situation besteht mein Alltag größtenteils aus Teams-Calls und Videokonferenzen. Die Büros waren aufgrund der Pandemie leider lange Zeit leer, daher lief der Austausch online ab. Wir merken aber, dass nach und nach viele Mitarbeitende wieder in die Büros zurückkehren. Auch mein Team habe ich kürzlich bei zwei Workshops besser kennenlernen können. In unseren regelmäßigen Konferenzen besprechen wir zwei große Bereiche: Das Tagesgeschäft und die IT-Strategie.

Im Tagesgeschäft kümmert sich die IT-Abteilung von Beiersdorf darum, dass alle Systeme laufen und Upgrades gemacht werden. Ich werde dann involviert, wenn etwas nicht gut funktioniert oder größere Entscheidungen getroffen werden müssen, die auch Auswirkungen auf andere Unternehmensbereiche haben. Dann versuche ich, für die Gesamtorganisation die beste Entscheidung zu treffen.

In der IT-Strategie müssen wir drei Schritte vorausdenken: Wie sieht unsere Organisation in fünf Jahren aus? Welches Organisationsmodell ist das richtige? Welche Skills benötigen unsere Mitarbeitenden? Für all diese Fragen müssen jetzt schon die Weichen gestellt werden, damit wir in drei oder fünf Jahren weiterhin erfolgreich sind.

Das leitet gut zu dem nächsten Punkt über: Beiersdorf ist ein Konzern und steht vor einer großen digitalen Transformation. Wie treibst du persönlich das voran? Was veränderst du, um Beiersdorf zukunftsfähig zu machen?

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass sich das Bild der IT ändert. Die IT hat damit angefangen, die internen Prozesse zu digitalisieren und die großen SAP-Systeme aufzubauen. Damit hatte die IT ein sehr operatives Geschäft. Die Systeme müssen stabil laufen, ansonsten bleibt das ganze Geschäft stehen. Inzwischen hat der digitale Wandel die Anforderungen an die IT stark beeinflusst: sie muss zum „Enabler“ werden, der die Unternehmensstrategien und Geschäftsmodelle mitgestaltet. Außerdem wird es immer wichtiger für die IT-Bereiche einen nachweisbaren Wertbeitrag zu liefern und damit zur Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens beizutragen.

Heutzutage ist der IT-Bereich viel schnelllebiger. Es gibt deutlich mehr Applikationen und es kommen schneller neue Technologien auf den Markt. Der Lebenszyklus einer Technologie ist bedeutend kürzer geworden und Trends sind schneller wieder vorbei.
Damals konnte man sich das ein paar Jahre anschauen und sich überlegen: „Machen wir das jetzt oder machen wir das nicht?”. Heute muss man einen Trend sofort aufgreifen und mitmachen, sonst hat er nicht mehr die Relevanz und den Impact, den er am Anfang hatte. Das ist eine der Haupt-Herausforderungen einer etablierten IT-Organisation. Prozesse müssen passgenau zum operativen Geschäft laufen. Es muss alles zur Verfügung stehen, es müssen stetig IT- Sicherheitsverbesserungen vorgenommen werden und alles muss gut getestet sein. Die Frage ist hierbei: „Wie schaffe ich es ein Modell aufzusetzen, das es mir erlaubt, neue Technologien sehr schnell zu testen, einzusetzen und wieder abzuschalten?“

Es ist alles auf Sicherheit und Stabilität aufgebaut, beispielsweise die vielen Einzelprozesse und das Change-Management. Natürlich ist es wichtig, dass eine Änderung in SAP funktioniert und das System am Ende nicht stillsteht. Aber brauche ich das wirklich bei jeder Applikation in diesem Ausmaß oder kann ich bei einigen Dingen auch mal ein Risiko eingehen und Neues in den Einsatz bringen, was erst nach und nach optimiert wird? In etablierten Firmen und gewachsenen IT-Organisationen ist es eine große Herausforderung, beide Aspekte zu bedienen.

Das klingt nach einer sehr großen Verantwortung. Was begeistert dich denn persönlich an deiner Rolle als CIO?

Was mich persönlich begeistert ist die Vielfalt. Ich bin jemand, der eher viele Themen parallel bearbeitet, statt sich total auf eins zu fokussieren. Das entspricht meiner Mentalität und ist meine Stärke. Daher denke ich, dass die CIO Rolle für mich genau das Richtige ist. Von Infrastruktur-Themen und großen Projekten über Digitalisierungsstrategien und neuen Technologien bis hin zu Organisationsweiterentwicklung kann ich ganz viele unterschiedliche Themen vorantreiben. Dadurch ist es sehr abwechslungsreich und macht mir sehr viel Spaß.

Gibt es auch Schattenseiten des Berufs?

Natürlich gibt es auch Schattenseiten, weil manche Dinge nicht so gut laufen, wie ich es gerne hätte. Wenn ich beispielsweise Änderungen vorantreibe, dann gibt es immer Gruppen, die das sehr begrüßen und mitmachen. Aber es gibt natürlich auch Gruppen, die sagen: „Das haben wir früher aber anders gemacht.” oder „Das war früher aber besser.”. Das ist dann eine Herausforderung die manchmal nicht ganz einfach ist – vor allem in Zeiten von Corona, in denen ich die Menschen nicht persönlich treffen kann.

Wir würden gerne mehr über deinen persönlichen Weg zur CIO erfahren. Du hast uns erzählt, dass du Mathe und VWL studiert hast und du eigentlich gar nicht in die IT oder Programmieren wolltest. Warum bist du trotzdem in die IT eingestiegen? Wie ist es dazu gekommen?

Genau, ich habe Mathematik und Sinologie studiert. VWL habe ich im Nebenfach belegt. Ich habe Mathematik gewählt, weil ich dachte, das liegt mir. Die Informatik war zu der Zeit noch sehr neu. Es war eine recht technische Arbeit mit riesigen Rechnern und Maschinen. In der Mathematik gab es nur einen Zweig: Die angewandte Mathematik, die Numerik, die sich im Grunde mit Programmieren beschäftigt hat. Ich fand das aber nicht sehr attraktiv, weil ich dachte, dass es ein sehr isoliertes Arbeiten wäre.
Als ich anfing zu promovieren, machte ich mir Gedanken darüber, was ich später machen könnte. Ich habe zunächst ein Praktikum in China in einem deutsch-chinesischen Joint Venture im Finanzbereich gemacht. Was mich begeistert hat: Ich hatte plötzlich mit Menschen zu tun, die verstanden, was ich tat. Ein Mathematikstudium führt früher oder später zu dem Punkt, an dem kaum jemand mehr versteht, was man macht und man daher relativ allein ist. Eben diese Konnotation des Alleinseins hatte auch die IT für mich. Da ich aber ein Mensch bin, der Interaktion braucht, wollte ich lieber in einem anderen Bereich anfangen.

In meinem ersten Vorstellungsgespräch wurde mir allerdings nahegelegt, dass die IT nicht so isoliert sei, wie ich dachte und dass ich es mal versuchen und zur Not auch später noch wechseln könnte. Mir wurde nicht zu viel versprochen: Die IT ist tatsächlich ein sehr interaktiver Bereich. Ich stehe regelmäßig mit allen Abteilungen der Firma in Kontakt. Im Prinzip muss ich jeden Prozess verstehen, weil ich sonst nicht die richtige technische Lösung dafür aufsetzen kann. Ich bin sehr froh, damals überzeugt worden zu sein, in der IT anzufangen.

Wenn du jetzt auf deine Karriere zurückschaust - inzwischen bist du ja in der CIO-Position - was waren auf dem Weg dahin von deinem Berufseinstieg bis heute die wichtigsten Erfolgsfaktoren?

Ich denke es ist wichtig das zu mögen was man tut. Wenn man den Eindruck hat, dass einem die eigene Rolle nicht liegt, sollte man versuchen sie zu verändern oder zu wechseln. Denn wenn man zu lange in einem solchen Bereich sitzen bleibt, ist es einerseits persönlich schlecht, da man leicht die Motivation verlieren kann, und andererseits hinderlich für die Karriere, wenn auch die Leistung darunter leidet.

Ich hatte das Glück, dass in der Firma, in der ich angefangen habe, alle zwei bis drei Jahre die Jobs gewechselt wurden. So bekam ich viele Einblicke und habe schnell gemerkt, welche Bereiche mir liegen und welche nicht. Dadurch konnte ich die Themen finden, in denen ich sehr gute Leistungen zeigen konnte und die mir Spaß gemacht haben. Ich bin davon überzeugt, dass Spaß an der Arbeit und gute Leistung zusammenhängen. Sobald es Spaß bringt, ist man einfach erfolgreicher.

Welche Fähigkeiten sind auf dem Weg besonders relevant? Muss man beispielsweise programmieren können oder gute IT-Skills haben? Oder gibt es eher andere Qualitäten, die man braucht, um dorthin zu kommen?

Ich habe während meines Studiums programmiert, danach hat es sich dann nicht mehr ergeben. Ab einem gewissen Punkt muss man sich überlegen, was man von seiner Karriere erwartet und was einem liegt. Ich habe schnell festgestellt, dass ich mich nicht wochenlang in ein Thema reinbeißen kann. Das sieht man auch daran, dass ich nicht nur Mathematik studiert habe, sondern irgendwann auch Sinologie dazu kam. Ich muss immer noch etwas Komplementäres machen. Daher war mir relativ schnell klar, keine Expert:innen-Karriere anzustreben, sondern mich eher breit aufzustellen. Dies war eine wichtige Voraussetzung für meine CIO-Rolle, weil ich einen großen Verantwortungsbereich habe, der immer umfangreicher wird. Dabei kann ich nicht überall Expert:innen-Erfahrung haben. Ich benötige hingegen die Kompetenz, mich schnell einzuarbeiten, um ein Verständnis für das Thema zu bekommen und die Fähigkeit eine starke Organisation aufzubauen.

Es ist so, dass du leider noch eine Ausnahme bist. Es gibt nach wie vor sehr wenig weibliche CIOs, CDOs oder CTOs. Was sind deinen persönlichen Erfahrungen nach die Gründe dafür?

Sagen wir so – wenn diese Frage einfach zu beantworten wäre, gäbe es dieses Problem nicht mehr. Ich glaube, das Problem ist sehr vielschichtig und zum Teil gar nicht offensichtlich. Es ist ja nicht nur die IT – wenn wir uns generell die Führungspositionen in Wirtschaft und Politik anschauen, sind wir weit davon entfernt, wirklich 50 Prozent dieser Positionen mit Frauen besetzt zu haben. Für mich ist ein offensichtlicher Punkt nach wie vor die Entscheidung zwischen Karriere und Familie treffen zu müssen. Wenn man sich die Betreuungssituation von Kindern anschaut, ist ein normaler Arbeitsalltag kaum zu schaffen, weil dann die Kitas von 7 bis 19 Uhr geöffnet sein müssten. Das gibt es in Deutschland eher selten, zumindest habe ich es so nicht erlebt. Oft stehen Familien vor dieser Entscheidung und häufig entscheiden sich dann die Frauen die Kinder zu betreuen.

Ein weiterer Punkt ist für mich die unterschiedliche Beurteilung von Männern und Frauen, die in den meisten Fällen unterbewusst passiert. Ich habe den Eindruck, dass, wenn eine Frau etwas macht, es oftmals anders interpretiert wird als bei einem Mann. Da dies unterbewusst passiert, ist es sehr schwierig zu ändern.

Du bist als CIO in einer Vorbildrolle und hast damit auch die Chance, etwas zu verändern und gezielt Frauen zu fördern, sodass diese in eine Management-Position in der IT-Branche oder in einer IT-Abteilung aufsteigen. Machst du das konkret? Gibt es Ideen, wie du Frauen förderst? Und klappt das Vorhaben auch?

Da ich noch nicht sehr lange bei Beiersdorf bin, kann ich bisher nicht sagen, dass ich schon große Veränderungen erreichen konnte oder ob es funktionieren wird. Ich achte aber sehr bewusst auf den Frauenanteil und darauf, die Stellen wann immer möglich 50:50 zu besetzen. Denn wenn keine Frauen in der Organisation arbeiten, können sie auch nicht gefördert werden. Wenn die Frauen erst einmal in der Organisation sind, ist die wesentliche Frage, wie wir es schaffen, sie langfristig im Unternehmen zu halten und ihnen gute Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Das Hauptproblem ist, dass die Verteilung von Frauen und Männern, auch wenn sie vorher relativ gut war, ab einem gewissen Punkt kippt. Da müssen wir in meinen Augen aktiv gegensteuern. Warum steigen die Frauen zum Teil aus und was können wir machen, damit das nicht passiert? Mein Ziel ist es, dass unsere Teamstrukturen möglichst divers sind, denn ich bin überzeugt, dass diverse Teams erfolgreicher sind.

Gibt es vielleicht eine persönliche Erfahrung, die du selbst erlebt oder mitbekommen hast und sagst: Das war ein Punkt, der dir veranschaulicht hat, warum Frauen nicht weiter aufsteigen wollen oder aus der IT sogar ganz raus gehen?

Inwieweit Frauen gefördert werden und inwieweit es für Frauen attraktiv ist, in ihrer Rolle zu bleiben, wird stark von der Unternehmens-Kultur beeinflusst. Ist es wichtig, dass ich immer ansprechbar bin? Wird von mir erwartet, dass ich Tag und Nacht auf E-Mails reagiere? Oder wird mir vertraut, dass ich die vereinbarte Leistung erbringe und selbst einteilen kann, wann ich dies tue?

Als meine Kinder noch klein waren, hatte ich die Möglichkeit, meine Aufgaben zu erledigen, wie, wann und wo ich wollte. Ich habe das als eine absolute Freiheit empfunden. Wurde in der Schule meiner Kinder ein Adventskaffee am Freitag um 10:00 Uhr veranstaltet, nahm ich daran teil und war eben zwei Stunden mal nicht erreichbar. Danach habe ich weiter gearbeitet. Wäre die Arbeitskultur so, dass sich Frauen für die Kinderbetreuung während ihrer Arbeitszeit Urlaub nehmen und sich immer wieder rechtfertigen müssten, kann das auch abschrecken. Es kann die Frage aufkommen „Welchen Preis zahle ich eigentlich für diesen Job?“. Deswegen hat für mich die Firmenkultur einen ganz, ganz entscheidenden Impact – wie man seine Arbeit und sein Privatleben zusammenbringt und zufrieden im Job ist.

Dann sind wir auch schon bei der letzten Frage. Wenn du allen Mädchen in den Abschlussklassen Deutschlands eine Nachricht auf einer leeren Tafel hinterlassen könntest, was würdest du darauf schreiben?

Der Satz, den ich hinschreiben würden, wäre: „Vertraue deinen Fähigkeiten!”.

Kurze Begründung dazu: Dinge oder Leistungen, die Frauen und Männer erbringen, werden meiner Ansicht nach unterschiedlich beurteilt. Im Gegensatz zu Männern nehmen Frauen sich häufiger zurück, beobachten und hinterfragen, statt dass sie etwas sagen oder bestimmen. Männer gehen schneller aus sich heraus und sagen: „Das ist so.” und rudern zurück, wenn sie falsch liegen. Frauen fragen erst nach, ob etwas so ist und gehen erst den Schritt nach vorne und behaupten es, wenn sie sich sicher sind. Das ist natürlich sehr stereotypisch, aber lässt sich zum Beispiel in den Sozialen Medien, in Zeitschriften und der Politik beobachten.
Beispielsweise wurde Frau Merkel „Mutti” genannt. Kein anderer Präsident oder Kanzler wurde „Papi” genannt. Nur bei einer Frau ist die Rolle der Bundeskanzlerin eine fürsorgende und keine bestimmende Rolle. An diesem Punkt wird einem die Fähigkeit in gewisser Weise abgesprochen und es besteht die Gefahr, dass man selbst daran zweifelt. Also sollten wir unseren Fähigkeiten vertrauen. Wir Frauen sind genauso schlau wie Männer und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.

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