Von BWL zu Software Engineering: Der Weg zur Führungskraft in der IT

Ein Blick hinter die Kulissen: Wie Marie Blume Technologie zur Verbesserung des Gesundheitswesens nutzt.

April 23, 2024

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Wir haben mit Marie gesprochen, die Head of Software Program bei Dräger, einem führenden Unternehmen im Bereich Medizin- und Sicherheitstechnik. Marie teilt ihre beeindruckende Reise von einem dualen BWL-Studium zur Leitung von Softwareentwicklungsprojekten und gibt Einblicke in ihre Erfahrungen als Frau in einer Führungsposition in der Technologiebranche.

Das ITgirl im Profil

Name: Marie Blume
Position: Head of Software Program Perioperative Care
Traumberuf als Kind: ADAC Hubschrauberpilotin
Unternehmen: Drägerwerk AG & Co. KGaA

Was war dein erster Berührungspunkt mit IT?

Der kam erst relativ spät. Der Informatikunterricht in unserer Schule hatte wenig mit IT oder Softwareentwicklung zu tun. Es ging primär um den Umgang mit Excel und PowerPoint und so hatte ich keine echten Berührungspunkte. Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt auch niemals vorstellen können, mal etwas im Softwarebereich zu machen. Erst im dualen Studium habe ich dann mehr und mehr Einblicke erhalten.

Erzähl uns von deiner Ausbildung und wie du vom BWL-Studium zur IT gekommen bist.

Ich habe meinen Bachelor als duales Studium in Business Administration an der Hamburg School of Business Administration (HSBA) gemacht. Im Studium habe ich früh gemerkt, dass mir Statistik unglaublich viel Spaß bringt und ich mich gern mit der Analyse großer Datenmengen beschäftige. In der Praxis hatte ich dazu jedoch kaum Anwendungsmöglichkeiten, denn begonnen habe ich das Studium in einer Hamburger Stiftung und bin erst im Verlauf des Studiums zu Dräger nach Lübeck gewechselt. Hier konnte ich meine Begeisterung für Statistik dann auch in ersten praktischen Szenarien anwenden und daraus ist dann mehr und mehr meine Leidenschaft für die Softwareentwicklung entstanden.

Nach dem Studium habe ich fest bei Dräger angefangen und als Digital Project Managerin in der Dräger Digital GmbH erste eigene IT- und Growth Hacking Projekte umgesetzt. Parallel habe ich unterschiedliche Weiterbildungen im Bereich Data Analytics gemacht und eigene kleine Programmierprojekte durchgeführt. Im Anschluss bin ich als Product Ownerin in die damalige Business Unit Data Business bei Dräger gewechselt und habe dort die Entwicklung einer Softwarelösung zum Kapazitätsmanagement im Krankenhaus von Beginn an begleitet. Für diese Software habe ich dann die Rolle der Global System Product Managerin übernommen, dabei sehr eng mit den IT-Expert:innen verschiedener internationaler Krankenhäuser zusammengearbeitet und so erste Erfahrungen in der fachlichen Führung gesammelt.

Im Anschluss an diese Station bin ich in die Rolle der Head of Software Engineering gewechselt, hatte meine erste disziplinarische Verantwortung und habe mich von dort in meine heutige Rolle als Head of Software Program weiterentwickelt. Zusammenfassend würde ich also sagen, dass es zwischen der IT und mir Liebe auf den zweiten Blick war, die mit jeder Station in meiner Laufbahn größer und auch immer fachlicher geworden ist.

Entscheidend für meinen Werdegang war, dass ich immer von Menschen gefördert wurde, die mir eine Chance gegeben haben, auch wenn mein Profil vielleicht nicht hundertprozentig passend für eine bestimmte Stelle gewesen ist. Ohne diese Menschen hätte ich meinen Weg niemals so gehen können.

Marie bei der Arbeit in der Klinik

Du bist jetzt seit über 5 Jahren bei Dräger. Wie bist du ausgerechnet bei einem Unternehmen für Medizin- und Sicherheitstechnik gelandet und was macht die Arbeit dort für dich so wertvoll?

Ich bin über ein Jobinserat auf Dräger aufmerksam geworden und fand gerade den Bereich Medizintechnik unglaublich spannend. Ich habe mich damals auf ein Praktikum beworben, hatte drei großartige Monate, in denen ich unglaublich viele spannende Eindrücke gesammelt und beeindruckende Menschen kennengelernt habe. Mich begeistern an Dräger zwei Dinge ganz besonders:

  1. Technik für das Leben – das ist unsere Leitidee, an der wir jeden Tag aufs Neue mit Herzblut arbeiten. Die Anästhesie-Software, die wir entwickeln, kommt in einem Gerät zum Einsatz, das direkt am Patient:innen wirkt. Wir haben deswegen ein sehr hohes Qualitätsbewusstsein und arbeiten in einem sehr regulierten Umfeld mit eingeschränkten Freiheitsgraden. Das muss man mögen. Mir bringt diese Arbeit große Freude.
  2. Die Menschen, die bei Dräger arbeiten. Als deutsches Familienunternehmen mit 135-jähriger Geschichte spielen unsere Unternehmenswerte im Alltag eine große Rolle. Bei Dräger steht der Mensch im Fokus und das nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch im Umgang zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Ich habe selbst sehr häufig davon profitieren dürfen, dass ich unterstützt und gefördert wurde. Das geht meiner Meinung nach nur in einem Umfeld, in dem genau hingeschaut und individuelle Stärken und Fähigkeiten gesehen werden.

Kannst du uns einen groben Einblick in deinen Arbeitsalltag geben? Was sind deine Aufgaben als Head of Software Program bei Dräger?

Ganz einfach gesagt bin ich die disziplinarische Führungskraft der Softwareprojektleiter, Softwarearchitekten und Product Security Engineers in der Anästhesie-Entwicklung. Gemeinsam mit dem Software Engineering und der Gasmesstechnik entwickeln wir also die gesamte Software in den Anästhesiegeräten von Dräger – von der Mikrocontrollerprogrammierung bis zum Graphical User Interface. Als disziplinarische Führungskraft stehen meine Teammitglieder in meinem Arbeitsalltag an erster Stelle: Ich führe regelmäßige Rücksprachen, organisiere Teammeetings und wöchentliche Stand-Ups und unterstütze meine Teammitglieder bei ihren Herausforderungen. Ein großer Teil meiner Arbeit ist die individuelle Weiterentwicklung meiner Mitarbeitenden mit ihren unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Neben dieser Führungsverantwortung kommt die „Management-Arbeit" hinzu: Die Zusammenarbeit mit den anderen Führungskräften in unserem Entwicklungsbereich und den Schwesterbereichen, übergeordnete Strategiearbeit und eine enge Unterstützung unserer Entwicklungsprojekte.

Marie bei ihrer Arrbeit bei Dräger

Welche Herausforderungen hast du auf deinem Weg zur Führungskraft in der Softwareentwicklung gemeistert? Gibt es besondere Erfolge, auf die du besonders stolz bist?

Der Schritt in die disziplinarische Führung hat für mich persönlich unterschiedliche Herausforderungen mit sich gebracht. Zuallererst bin ich selbst keine gelernte Softwareentwicklerin, schon gar nicht im Bereich der eingebetteten Systeme (embedded systems) und war zu dem Zeitpunkt, als ich Führungskraft wurde, gerade 27 geworden. Es war also klar, dass ich in ein Team komme, in dem ich nicht die fachliche Expertin bin und viele Kolleginnen und Kollegen deutlich mehr Berufserfahrung mitbringen als ich. Damit musste ich erst einmal umgehen, weil ich in meiner vorherigen Rolle als Global System Product Managerin tiefes Wissen in meinem Fachgebiet aufgebaut hatte und eine absolute Expertin war.

Jetzt in ein neues Umfeld zu kommen, in dem ich selbst vieles neu lernen muss und gleichzeitig die Verantwortung für ein Team übernehme, habe ich persönlich als große Herausforderung wahrgenommen. Mir hat es im Umgang mit dieser Herausforderung geholfen, einfach offen und ehrlich zu sein.

Ich habe meinem Team und auch anderen Führungskräften und Teams immer offen kommuniziert, was sie von mir erwarten können und was nicht. Ziemlich schnell ist dann aber deutlich geworden, dass ich in meiner Rolle nicht als technische Expertin gebraucht werde. Es geht vielmehr darum, Probleme so zu durchdringen und zu abstrahieren, dass ich gemeinsam mit den technischen Expertinnen und Experten Entscheidungen treffen kann. Gleichzeitig gab es aber auch Bereiche, wie beispielsweise die Entwicklung von Interoperabilität zwischen Medizingeräten oder die Weiterentwicklung agiler Arbeitsweisen, in denen ich mein Expertenwissen schnell einbringen und fachliche Beiträge leisten konnte. Einer der Schlüssel in der gesamten Anfangszeit war es, aufrichtig und aktiv zuzuhören. Diesen Tipp würde ich auch jeder angehenden Führungskraft geben, egal wie erfahren er oder sie ist:

Hört den Menschen in euren Teams zu. Erfahrt, was sie denken, was sie umtreibt und was sie brauchen. Und dann kommt ins Handeln und löst die Probleme eurer Mitarbeitenden. Nur zuhören reicht nicht – aber es ist ein sehr guter Anfang.

Welche Erfahrungen hast du als Frau in einer Führungsposition in der Technologiebranche gemacht?

Ich bin im Sommer 2022 als erste Frau in unseren Führungskreis in der Anästhesieentwicklung gekommen. In der täglichen Arbeit habe ich nie einen Unterschied zwischen meinen männlichen Kollegen und mir wahrgenommen. Es war immer ein sehr offenes Miteinander. Natürlich bin ich seit meinem Berufseinstieg aber auch schon mit unterschiedlichen Vorurteilen konfrontiert worden und wurde in einem Kundentermin auch mal als „Quotenfrau" bezeichnet. Das sind Momente, die mich rückblickend stärker gemacht, in dem Moment aber sehr verletzt haben.

Was mich sehr beeindruckt hat, war, wie viele Kolleginnen sich persönlich bei mir gemeldet haben, als ich damals in die Führungsrolle gewechselt bin. Gerade junge Kolleginnen haben mir geschrieben, wie viel Mut es ihnen macht, zu sehen, dass (junge) Frauen in der Technologiebranche in eine Führungsverantwortung kommen können. Da ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, solche Beispiele nach wie vor sichtbar zu machen und warum Frauen in Führungspositionen eine so wichtige Signalwirkung haben.

Wie führst du dein Team von Softwareentwickler:innen bei Dräger? Wie ist das Team zusammengesetzt im Hinblick auf Diversität?

Unser gesamtes Softwareteam umfasst über 50 Softwareentwickler:innen, die in unterschiedlichen Projekten arbeiten. Wir haben uns in mehreren SCRUM Teams strukturiert, die in sich selbstorganisiert und eigenverantwortlich arbeiten, aber immer eine Führungskraft an ihrer Seite haben, die fachlich und organisatorisch bei der Lösung von Problemen hilft. Bei mir sind das beispielsweise Teams, die am Graphical User Interface, der Vernetzung unserer Anästhesiegeräte sowie Cyber Security arbeiten. In diesen Themen arbeite ich sehr eng mit den Product Ownern und Teams zusammen und versuche, sie bestmöglich zu unterstützen. Im Hinblick auf Diversität haben wir unterschiedliche Facetten, die wir betrachten.

Wenn es um Gender Diversität geht, dann haben wir noch viel Luft nach oben, denn unser Team besteht nur zu etwa 10% aus weiblichen Entwicklerinnen. Anders sieht es im Bereich der Altersdiversität aus. Hier haben wir von Anfang 20 bis Anfang 60 eine große Range innerhalb des Teams.

Diese Diversität führt zu unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen. Nicht nur im Miteinander, sondern auch an die Führungskraft.

Wie können Unternehmen wie Dräger dazu beitragen, mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen und zu unterstützen?

Entscheidend sind aus meiner Sicht zwei Dinge: Zum einen schaffen Unternehmen wie Dräger sichtbare Vorbilder und zeigen jungen Frauen, dass es möglich ist, sich in technischen Berufen weiterzuentwickeln und hier fachliche oder disziplinarische Führungsverantwortung zu übernehmen. Aus meiner Sicht ist es hier nach wie vor notwendig, dass Unternehmen laut darüber sprechen und diese Möglichkeiten sichtbar machen, um jungen Frauen Mut zu machen.

Zum anderen müssen Unternehmen sich auch selbst ganz aktiv in der frühen Förderung von Nachwuchs aller Geschlechter engagieren. Gerade im Bereich der Softwareentwicklung spielt hier die Förderung schon in der Schulzeit eine entscheidende Rolle.

Wie gesagt, ich selbst hätte mir nach der Schulzeit niemals zugetraut, etwas im Bereich Informatik zu studieren. Ich hatte aber auch keine Berührungspunkte und hätte mich sicherlich anders entschieden, wenn ich tiefere Einblicke gehabt hätte. Nachwuchsarbeit beginnt daher nicht erst im Studium, sondern nach Möglichkeit bereits in der Schule und hier bin ich überzeugt davon, dass Unternehmen sehr wirksam werden können.

Welche Ratschläge würdest du jungen Frauen geben, die einen beruflichen Werdegang in der Softwareentwicklung anstreben?

Ich glaube, das Wichtigste ist es, mutig zu sein und Dinge auszuprobieren. Das ist leicht gesagt, aber gerade in der Technologiebranche braucht es aus meiner Sicht nach wie vor Mut als Frau. Viele von uns machen Dinge zum ersten Mal, sind Vorreiterinnen und dadurch auch automatisch Vorbilder für andere junge Frauen. Für mich war es dabei sehr wertvoll, Mentoren an meiner Seite zu haben, die ich um Rat fragen konnte. Das waren in meinem Fall tatsächlich lange ausschließlich Männer. Ich habe erst vor einigen Monaten eine weibliche Mentorin um Unterstützung gebeten. Für mich war das Geschlecht dabei gar nicht so entscheidend, sondern eher die Frage, welches Profil mir in meinem aktuellen beruflichen Lebensabschnitt am besten helfen kann.

Ihr interessiert euch für Softwareentwicklung? Dann schaut in den Beitrag von Laura, die euch 6 Tipps für Anfänger:innen in der Softwareentwicklung gibt. Spannend zu sehen ist auch die zunehmende Verschmelzung der Gesundheitsbranche mit dem Technologiesektor, welche die Unternehmensberatung PwC in ihrer Studie von 2021 beleuchtet hat.

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